Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn

Unser Wort zum Sonntag Laetare,

am 22. März 2020, 4. Sonntag in der Passionszeit

von Pastor Hans Hillmann

 

 

Unser "Wort zum Sonntag" als Audiodatei zum Anhören im eigenen Audio-Player:

 

 

Liebe Gemeinde,

jeder braucht einen Ort, an dem er sich gut fühlt. Sicher. Geborgen. Und willkommen. Dieser Ort, er bleibt vielleicht zeitlebens ein Sehnsuchtsort.

 

Er taucht hier und da auf: Ein warmes Zuhause, ein vergilbtes Bild von der eigenen Kinderstube, oder plötzlich ein Geruch, der an Mutters Kochkünste erinnert. Wer das Gefühl aus Kindheitstagen kennt, angenommen und geliebt zu sein, den wird es als gutes Lebensgefühl noch im Alter heimsuchen. Dieses Gefühl, das sagt:

 

Bei allem was mich kränkt und hindert, ist es doch gut, am Leben zu sein. Selbstvertrauen zu haben und anderen Vertrauen schenken zu können – dieses Urvertrauen des Menschen wurzelt im Schoß der eigenen Mutter und breitet sich aus mit der gutmütigen Stimme des eigenen Vaters.

 

Es fällt mir nicht leicht, das zu erinnern – wie ausgeliefert ich begonnen habe. Ausgeliefert an die Güte von Vater und Mutter. Manch einer und manch eine will sich gar nicht erinnern – aus verständlichen Gründen. Denn Unsicherheit und Ablehnung gehören zu unseren Kindheitsgeschichten dazu wie Matchboxautos und Milchsuppe. Erinnert oder nicht, die Beziehungen meines Anfangs prägen mich:

 

Gesäugt werden, gewickelt werden, gewiegt – und natürlich: gestreichelt werden – in diesen ersten Erfahrungen schlummern tiefe Anteile meiner Persönlichkeit. Und wo diese ersten Erfahrungen guter Beziehung fehlen oder verletzend waren – und frei davon ist niemand – da schwelt, schaudert und zweifelt manches unbewusst in mir.

 

In bestimmten Zeiten wird das besonders deutlich: Wer den Keller gerade bis unter die Decke voll hat mit Toilettenpapier, wurde sehr wahrscheinlich mal fahrlässig gewickelt. (Bitte stellen Sie sich an dieser Stelle vor, wie in der Bankreihe vor Ihnen jemand schadenfroh, aber auch ein bisschen ansteckend lacht und wie der Prediger zeitgleich unbeholfen versucht, auf der Kanzel zu zwinkern – dann bekommen Sie das Toilettenpapier nicht in den falschen Hals). Und damit nicht der Eindruck entsteht, ich näsele hier hier auf die Toilettenpapiersammler in ihre Keller herab: Ja, ich horte momentan auch mehr Konserven, als sonst.

 

Und so viel ist mir dabei schon aufgegangen: Der Konserven-Keller ist nicht der Ort, an dem ich mich gut fühle. Sicher. Geborgen. Das heimliche, mickrige Schlaraffenland ist kein himmlisches Jerusalem.

 

Der hebräische Name der Stadt Jerusalem lässt sich aus zwei Worten ableiten: Yru und Schalom. Übersetzt: Gründung und Frieden. Jerusalem ist also die »Gründung des Friedens«. Oder anders gesagt: Der Ort, an dem es sich gut anfühlt. Ein Sehnsuchtsort. Dahin nimmt die Bibel uns mit:

 

10Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt!

 

Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.

 

11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Glanzes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.

 

(Aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 66, Verse 10 bis 13.)

 

Es sind Worte, die auf der Zunge zergehen: Saugen und liebkosen, reichlich trinken und erfreuen an der vollen Mutterbrust, umgeben vom Frieden wie von einem Strom. Wer diesen Ort finden will, wird auf der Landkarte lange suchen müssen. Und wahrscheinlich auch vergeblich suchen. Seit Menschengedenken ist die Frage nach diesem Ort der Wonne und des Friedens verbunden mit der Frage nach Gott: Wo ist Gott? Wer wissen will, wo Jerusalem liegt, kommt an dieser Frage nicht vorbei.

 

Wo also ist Gott? Wo ist Er in dieser Welt, in der Kinder in den Armen ihrer Mütter erfrieren in Niemandslandnächten zwischen den Staaten? Wo ist Gott in einer Welt in der die Jugend immer wieder und immer noch im Krieg verheizt wird? Wo ist Gott in einer Welt, in der die Großmutter isoliert an einem Virus erstickt? Wo ist Er in einem Land, in dem jedes 8. Kind abgetrieben wird? Ist unsere Ohnmacht – unsere Ohnmacht am Frieden – nicht auch Erfahrung einer anderen Übermacht? Einer Übermacht, die uns ohnmächtig drückt? Einer Übermacht Gottes? Ist unsere Ohnmacht nicht auch Gotteserfahrung? Wo ist Gott? Und vor allem: Wo ist der gnädige, der gute Gott?

 

Eine Antwort wagt der Predigttext: Jerusalem, das ist, wo das Kind an der Brust der Mutter saugt. Die Antwort, der Sehnsuchtsort, ist keine Koordinate, sondern ist eine Beziehung.

 

Wo also ist der gnädige Gott? – Er wohnt nicht in Tempeln oder Büchern und nicht einmal in der Musik. Auch wenn man ihn überall dort gelegentlich treffen kann. Wohnen aber, heilsam an-wesen, will Gott in Beziehung. Das Bild des Propheten ist: Mutter und Kind. In dieser menschlichen Ur-Beziehung erzählt die Bibel wie Gott sich finden lässt:

 

»12 Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.«

 

Wer schon mal ein schreiendes Baby auf dem Arm gehalten hat, wird diesen unwiderstehlichen Reflex kennen: Man beginnt augenblicklich, das Kind zu schaukeln, den Arm auf- und ab zu bewegen. In jeder Bewegung abwärts, die nicht zum freien Fall führt, sondern auch wieder gehalten wird und aufwärts geht, erlebt das Kind: Ich bin getragen. Der Rest ist Zauber: Geruch, Herzschlag, Stimme und Stimmung, die sich bis zur Liebkosung verdichten. Eine Mutter, die tröstet, ist Zauber, ist Glanz. Nicht Glanz, wie Gold und Silber. Sondern Glanz wie Gott selbst.

 

11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Glanzes […] 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

 

Was gibt es alles für Bilder von Gott: Im Wettersturm bei Hiob, mit Hirtenstab im Angesicht der Feinde, als Vater verlorener Söhne und am blutigen Kreuz. Hier und heute, in diesen stürmischen Tagen, da die Welt am Stock geht und wir uns um unsere Lieben sorgen, dass sie nicht verloren gehen und wo manch einem vor Schreck das Blut in den Adern gefriert – hier wird uns Gott vor Augen gemalt als stillende Mutter. So lässt er sich rufen.

 

Wie die Mutter sich rufen lässt vom Kind. Nicht in ausgefeilten Reden und klugen Anträgen, sondern schreiend und glucksend und wimmernd. Wie die Mutter, die sich rufen lässt von der schreienden Ohnmacht des Kindes. Kyrie Eleison. Herr, erbarme dich. – Mehr haben wir nicht. Mehr brauchen wir nicht! Wer es wagt und aushalten kann, sich diese Ohnmacht einzugestehen, allem Horten und Halten zum Trotz, der mag sogar in den eigenen vier Wänden nach Jerusalem finden. An den Ort mit dem besonderen Glanz, an die Brust des Friedens. Zu deinem Gott, der dich halten will und wird, wie eine Mutter liebkosend ihr Kind.

 

Zum Schluss werden die Worte dichter. Ein Gedicht, ein Ohnmachtsgebet in Kleinbuchstaben geschrieben, ohne Komma und Punkt, von Kurt Marti:

 

unser vater
der du bist die mutter  
die du bist der sohn
der kommt
um anzuzetteln
den himmel auf erden

 

Ihr Lieben,

seid getrost! Denn Gott spricht:

 

13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Amen.

 

 

 

Wochenlied: J.S. Bach: Motet BWV 227 'Jesu, meine Freude' - hier zum Link:

 

 

und wer es etwas lieber moderner mag: Dania König: Je und je geliebt - hier zum Link:

 

 

Hier noch das "Wort zum Sonntag" als pdf-Datei zum Download:

Predigt zu Jesaja 66,10-13.pdf
PDF-Dokument [117.4 KB]