Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn

Predigt am Sonntag Kantate,

am 10. Mai 2020, 4. Sonntag nach Ostern,

von Pastor Hans Hillmann

 

 

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

es gab mal eine Zeit – vor vielen Tausend Jahren – da wohnte Gott noch nicht in Kirchen und Tempeln hinter goldenen Altären, sondern – er wohnte bei den Menschen. Er zeltete. Er zeltete immer gerade da, wo die Menschen hinzogen. Wenn sie nach Ägypten gingen, ging er mit. Als sie aus Ägypten flohen und in die Wüste gingen, da ging er mit. Die Geschichten in der Bibel erzählen davon, wie Gott tagsüber in einer großen Wolke, als undurchsichtiger Nebel vor den Menschen herzog und ihnen nachts als große Feuersäule den Weg zeigte. Und wenn sie stehen blieben, dann blieb er auch stehen, baute sein Zelt auf – die sogenannte Stiftshütte – und war bei ihnen.

 

Die Jahre gingen ins Land und irgendwie kamen die Menschen auf die Idee, dass es doch viel zu gefährlich wäre, wenn Gott einfach immer mitginge und zeltete. Stellt euch das mal vor: Wenn er immer mitgeht, dann könnte es doch auch sein, dass er eines Tages einfach mal woanders langgeht! Oder was, wenn Gott beim vielen Mitgehen stolpert und hinfällt! Oder was, wenn ein starker Wind sein Zelt wegpustet – dann kann er nicht mehr bei uns wohnen! – so dachten die Menschen.

 

Nun weiß jedes Kind, dass Gott nicht hinfällt und dass er den Wind macht, also wird der Wind nicht sein Zelt wegpusten – aber die Menschen wollten oder konnten nicht hören, was die Kinder wussten. Zu laut war die Stimme und Stimmung der – Angst. Angst, dass ein Gott, der mitgeht, eines Tages auf der Strecke bleibt. Wenn die Menschen Angst haben, dann rufen sie seit Menschengedenken den König. Der König gibt Sicherheit. Und so hatte der König – wie das eben so ist bei Königen – ein Gebot gegen die Angst: Wir reißen Gottes Zelt ab, bevor der Wind es tut, und bauen ihm stattdessen einen Tempel aus Stein und Holz!

 

Oh ja, das ist doch was, das ist doch sicher – da, im Tempel, kann Gott wohnen und jedermann kann ihn besuchen, wann immer er will. So bauten die Menschen einen Tempel und das Zelt Gottes verschwand aus ihrem Lager. Aus dem Zelt wurde ein Hochhaus. Aus dem Glauben, der angewiesen ist auf die Gunst und Güte und Stärke Gottes wurde: Religion. Aus der festen Burg, die unser Gott ist, ist die feste Burg der selbstgebauten Sicherheiten geworden. Et Voilá: Der Tempel Salomos.

 

Unser Predigttext, liebe Gemeinde, setzt da ein, wo diese Burg der selbstgebauten Sicherheiten fertig gebaut ist. Salomo, der Sohn des Königs David, hat den Tempel errichtet. Und nun soll Gott feierlich in sein neues Heim einziehen. Und das geschah so:

 

»11 Und die Priester gingen heraus aus dem Heiligtum – denn alle Priester, die sich eingefunden hatten, hatten sich geheiligt, ohne dass man auf die Abteilungen geachtet hätte –,  12 und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen.  13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den HERRN lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des HERRN,  14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.«

 

Gott zieht ein in sein Haus und es ist nicht auszuhalten. Wie auch. Die Macht, die alles trägt, was atmet und wächst und singt, wird auf ein paar Quadratmeter komprimiert. Er, der den Weltkreis und Weltraum umspannt, zieht zwischen vier Wänden ein – das kann nicht gut gehen. Oder aber gerade so gut gehen, dass es vor lauter Güte und Schönheit nicht auszuhalten ist.

 

Das jedenfalls erleben die Priester hier. Die Atmosphäre ist zum Platzen aufgeladen, so dicht, so erfüllt von einer fremden Gegenwart, dass sogar die Religion überfordert ist. Wenn Gott käme, wäre der Gottesdienst zu Ende. Wenn sich Gott neben mir in die Kirchenbank setzte, die Wellen und Wogen der Meere würden neben mir Platz nehmen. Wenn sich Gott neben mir ans Pult stellte, die Winde und Gewitter würden ihr Wort erheben. Wenn Gott in all seiner Herrlichkeit in diese Wände käme, wir müssten die Kirche schließen. Es wäre zu gefährlich, zu groß, zu laut, zu still, zu echt, zu viel, zu süß, zu kalt, zu warm, zu klar, zu wahr, zu schön. Durcheinanderwirbeln würden die Schätze des Daseins und die Kostbarkeiten des Lebens in einer Wolke die zu bersten droht vor Intensität.

 

Wenn Gott käme, wäre der Gottesdienst zu Ende. Denn er verglitzert nicht einfach unsere Veranstaltungen und Bemühungen, unsere Wohlfühlstündchen und Meditationskurse und Gott ist schon gar nicht dekorativ, sonst wäre er bestenfalls ein Götze.

 

Nein, wo Gott anwesend ist, da müssen die Priester zurücktreten. Da pausiert Religion, Kultur, das System. Diese Geschichte von der Herrlichkeit Gottes im Tempel Salomos ist ein Spiegelbild unserer aktuellen Erfahrungen, nur, dass der Spiegel nicht das gleiche zeigt, sondern das Gleiche ganz anders zeigt:

 

13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem HERRN.

 

Auch bei uns ist zurzeit nur eine Stimme zu hören, weil wir anderen nicht singen dürfen. Dort, weil sie alle aus Leibeskräften zusammen einstimmen.

 

14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke

 

Wir erleben, wie Krankheit und Angst die Kirchen schließen. In der Geschichte ist es das geballte Gegenteil von Krankheit und Angst, das einen Zutritt unmöglich macht.

Was schließen wir daraus? Was bleibt uns heute, bei der Quasi-Wiedereinweihung unserer Kirche angesichts dieser Einweihungsgeschichte des salomonischen Tempels?

 

Ich höre daraus eine Mahnung und einen Zuspruch. Die Mahnung ist: Seht euch diese Menschen an – sie hatten einen Gott der mitgeht, tagsüber in einer Wolke, nachts in einer Feuersäule. In der Wüste, in den Bergen, im finsteren Tal und über Stock und Stein und Schlangen. Überall und jederzeit war er zugegen. Aus Angst, ihn zu verlieren, machten sie aus seinem Zelt ein Hochhaus, so sicher und fest und eng, dass sie es selbst nicht mehr betreten, geschweige denn bewegen konnten. Darum: Sucht keine Sicherheiten, die es nicht gibt. Die Sicherheit, nicht zu sterben, gibt es nicht. Die Sicherheit, sich nicht schuldig zu machen, gibt es nicht. Wer lebt, isst, atmet, sich bewegt, ja auch nur einen Fuß auf die blühende Wiese des Lebens setzt, lebt immer schon auf Kosten anderen Lebens, und wenn es nur ein zertretenes Gänseblümchen ist. Die Sicherheit, die anderen mit meinem Am-Leben-Sein nicht zu infizieren, gibt es nicht.

 

Der große Sehnsucht nach Sicherheiten und vielleicht sogar der Wahn nach Sicherheiten, die es nicht gibt, bestimmt seit Wochen unseren Alltag. Es ist sicher alles gut gemeint und ja, es darf uns auch etwas kosten, die Schwächeren zu schützen, aber es kann nicht darum gehen, totale Sicherheit herzustellen. Die Würde eines und einer jeden wird nicht nur den Schutz des Lebens gewahrt, denn Würde ist mehr als Verlängerung des Herzschlags. Auseinandergerissene Ehepaare. Kinder, die nicht mehr Abschied nehmen können von ihren alten Eltern und vieles mehr. Seelsorglicher Beistand quasi unmöglich gemacht – dieser Wahn nach Hochsicherheitszonen in unserem Leben stürzt Menschen – und auch ganz konkret Menschen aus unserer Gemeinde – in Verzweiflung. Das ist unerträglich. Ich beklage das nicht als Besserwisser – sondern ich schlage mir auf die eigene Brust. Ich habe die Pandemie-Pause insgeheim zu lange genossen, statt der Wirklichkeit ins Auge zu schauen, dass dabei zu viele auf der Strecke bleiben, die gar nicht geschützt werden wollen oder können. Diese Menschen erleben, wie sie faktisch in geriatrische Einzel- oder Gruppenhaft genommen werden. Das muss aufhören und es darf uns – Pandemie hin oder her – nicht wieder passieren.

 

Dieser Wahn nach Sicherheiten, der so alt ist wie die Menschheit, führt zu menschlichen Tragödien, und er spottet Gott.

 

Letzteres ist nicht so schlimm. Wirklich. Denn Gott ist Kummer gewohnt und er hat seinen Humor und vor allem seine Treue über Jahre irgendwie bewahrt. Das ist der Zuspruch dieser Geschichte des Predigtextes: Mag sein, dass wir uns in Burgen fragwürdiger Sicherheiten verbarrikadieren und isolieren – Er geht sogar dahin mit. Er zieht augenzwinkernd in den Tempel ein, indem er die ganze Bude so vernebelt, dass keiner mehr mitmachen kann – herrlich!

 

»13 Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des HERRN,  14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus Gottes.«

 

Amen.