Predigt am Sonntag Rogate,
am 17. Mai 2020, von Pastor Jörg Reimann
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Matthäus im 6. Kapitel, die Verse 5-15:
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden.
Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater,
der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn a sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.
8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.10 Dein
Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und
führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.] 14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen
vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Gnade sei mit euch und Friede, von dem der da ist und der da war und der da kommt in Herrlichkeit.
Liebe Gemeinde!
Wie ernst die Lage mit dem neuartigen Virus war, ist mir eigentlich erst klar geworden, als ein Virologe im Fernsehen sagte, jetzt hilft nur noch beten und am selben Tag der Bundespräsident ähnlich Worte fand.
Rogate heißt der Sonntag heute und um das Beten geht es. Der Text aus Matthäus 5 steht innerhalb der Bergpredigt.
Sich mit Almosengeben groß tun, sich brüsten, dass man kräftig Fastet und Beten, draußen, so dass es alles hören können ist nicht ist keine sinnvolle spirituelle Praxis. Jesus ruft auf, dies im Verborgenen zu tun, nur in Verbindung zu Gott.
Und welche Worte wir dazu nutzen dürfen sagt er gleich dazu, Vater unser im Himmel.
Dieses Gebet dürfte das auf der Welt am bekanntesten und am häufigsten gebetete geworden sin. Es umspannt die Welt. Bei der Taufe wurde es gebetet, bei der Konfirmation, der Hochzeit, und am Sterbebett und bei der Trauerfeier. Und jeden Tag, wenn die Glocke nicht gerade kaputt ist ruft sie uns zum Gebet zum Kurzen Innehalten. Und so sind wir durch dieses Gebet besonders miteinander verbunden, eben wirklich rund um die Welt.
Denn ganz klar ist, dieses Gebet ist von Jesus zum Gebrauch empfohlen.
Das Vater unser ist zugleich ein Bitten, Danken und Gott Ehre erweisen.
Schauen wir etwas genauer hin:
Zunächst die Anrede: Vater unser im Himmel. So vertraut hat Jesus mit Gott geredet, dass er ihn Abba genannt hat, auf Deutsch eigentlich: Papa! So oft ich das Vaterunser gebetet habe, bleibt es doch umwerfend. Der Ursprung von allem, der Schöpfer des Himmels und der Erde kommt mir so nah, dass ich ihn Papa nennen darf. Und nicht nur ich, wir alle können uns so vertraut an ihn wenden. Gott ist nicht nur mein Vater, er ist unser Vater. Wir alle sind seine Kinder und darum eigentlich alle Brüder und Schwestern. Weil wir vor Gott alle gleich wertvoll sind, seine geliebten Kinder, darum bete ich: Vater unser im Himmel.
Dann: Geheiligt werde dein Name. „Das ist mir heilig“, sagen wir, wenn uns etwas ganz wichtig ist. Für manche ist es der Mittagsschlaf, für andere bestimmte Ordnungen oder Traditionen. Gottes Namen, und das heißt: Gott selbst halten wir heilig, wenn wir ihn allein den Herrn sein lassen über unser Leben. Nichts und niemand anderes soll Herr sein in unserem Leben und über uns bestimmen. Nicht der Sport, nicht das Smartphone nicht und auch nicht das Geld, kein Politiker und kein anderer Mensch. Gott allein Herr sein zu lassen, gibt uns Würde und Freiheit. Weil es mich frei macht von allen anderen Mächten, darum bete ich: Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme. Dein Reich komme, diese Bitte macht deutlich, dass noch etwas aussteht. solange die einen reich und die anderen arm sind, solange ist Gottes Reich noch fern. Weil ich mich mit dieser Welt nicht zufrieden gebe und auf Gottes Gerechtigkeit hoffe, darum bete ich: Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Gottes Wille soll nicht nur im Himmel sondern auch bei uns auf der Erde geschehen. Wenn Gott doch alles weiß und uns kennt und weiß was wir brauchen, warum dann überhaupt beten? Ja, kennt uns wirklich und was wir brauchen. Aber wir dürfen ihn mit unserem Gebeten in den Ohren liegen, und ihn bitten und bitten. Solange wir die Worte DEIN WILLE GESCHEHE mitbeten. Und das für mich die schwerste Bitte. Und sie fällt mir schwer zu beten, angesichts von Not und Leid, von Krankheit und Virus-Epidemie genauso schwer, wie bei Bildern von Krieg und in die Flucht geschlagenen Menschen. Und besonders, bei Unfällen und beim Begleiten von Angehörigen eines Menschen, der noch so gerne weiter-gelebt hätte.
Unser tägliches Brot gib uns heute. Ich habe genug zu essen, eher muss ich aufpassen, dass es nicht zu viel wird. Auch sonst habe ich alles, was ich zum Leben brauche. Aber ich weiß, wie vielen Menschen es am Nötigsten fehlt – vor allem in vielen Ländern Afrikas, aber auch in unserer Nähe. Ich kann heutzutage nicht um das tägliche Brot bitten, ohne an all die Hungernden zu denken. Eigentlich gibt es genug auf dieser Erde für alle Menschen, es kommt nur darauf an, dass wir gerecht teilen lernen. Weil ich wünsche, dass alle Menschen bekommen, was sie zum Leben brauchen, darum bete ich: Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Das ist wirklich eine große Besonderheit des Christentums. Tatsächlich leben wir ja in einer Gesellschaft, die oft erbarmungslos ist. Ohne Gnade werden Fehler verfolgt, obwohl wir wissen könnten, dass keiner leben kann, ohne schuldig zu werden. So ist es im Großen wie im persönlichen Leben. Meist lässt sich nicht rückgängig machen, was wir einander antun; so sind wir darauf angewiesen, dass wir Vergebung erfahren und lernen, zu vergeben. Weil ich weiß, dass wir nur aus Vergebung leben können, darum bete ich: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Ich bitte um Vergebung und verspreche, anderen zu vergeben.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Versuchungen sind ja nichts Harmloses, als ginge es dabei nur um Schokolade. Was Menschen heute in Versuchung führt, ist vor allem die Macht des Geldes. Wenn Unternehmen die Natur hemmungslos ausbeuten und unnötiges Leid von Tieren in Kauf nehmen, um die Gewinne zu vergrößern, hat das etwas mit Versuchung zu tun. Wenn ich als Verbraucher nach dem billigsten Schnäppchen suche, muss mir klar sein, dass dafür ein anderer nicht den gerechten Preis für seine Arbeit bekommt. Auch das hat etwas mit Versuchung zu tun. Und weil ich weiß, welche Macht das Böse haben kann, und dass ich aus eigener Kraft der Versuchung nicht widerstehen kann, darum bete ich: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Den sieben Bitten des Vaterunsers ist im Laufe der Überlieferung der Bergpredigt noch ein Abschluss hinzugefügt worden. Die ersten drei Bitten waren direkt auf Gott bezogen: dein Name, dein Reich, dein Wille. In den anderen vier Bitten geht es um unsere Welt: Unser Brot, unsere Schuld, unsere Versuchungen, unser Böses. Mit dem Abschluss wird der Blick noch einmal auf Gott gelenkt, dem wir alles verdanken: dein Reich, deine Kraft, deine Herrlichkeit. Weil mein Leben reich wird, wenn ich mich darauf ausrichte, darum bete ich: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Vermutlich ist das Geschehen dieses Textes einer der bedeutendsten Mo-mente der Glaubensgeschichte in der Welt. Was uns heute so als ein großer Text begegnet, war ja damals eher ein Geschehen am Rande der Welt. Menschen am Berg, Jesus lehrt, die Aufmerksamkeit der Menschen wird, wie immer im Freien, eher begrenzt gewesen sein. Die Seligpreisungen waren schon erklungen, da redet Jesus über das Beten und das Heucheln. Und setzt dann, immer noch am Rande der Welt, von den meisten unbemerkt, einen Meilenstein.
Die Welt ist nicht denkbar ohne Gott. Sonst wäre alles Zufall und wir rollten zufällig durch die Welt wie Kugeln – ohne Sinn und Verstand. So ist es aber nicht, sagt Jesus. Und fasst in ein paar Sätzen zusammen, worum sich alles dreht: dein Name werde geheiligt. Darum ging es Jesus. Um Gott in der Welt. Und darum, dass ich nicht zufällig bin. Wer betet, hat Wurzeln bei Gott. Und nährt diese mit jedem Gebet neu. Weil ich nicht dem Zufall gehöre, sondern Gott. Und er mein Vater ist. Der mich liebt und auf mich Acht gibt, auch wenn ich mein Ge-schick nicht verstehen kann. Sein Wille geschehe.
AMEN