Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lensahn

Unser Wort zum Sonntag Palmarum,

am 5. April 2020,

von Pastor Hans Hillmann

 

 

Liebe Gemeinde,

 

jetzt geht’s an Eingemachte. Könnte man meinen. Reserven stehen hoch im Kurs. Sicherheit ist gefragt. Glücklich kann sich schätzen, wer in guten Zeiten ein paar salzige Gurken eingelegt hat, damit er in schlechten Zeiten nicht den Appetit verliert.

 

Als Jesus an diesem Tag im Haus des geschwürkranken Simon einkehrt, könnte die Not kaum größer sein. Diejenigen, die etwas zu sagen haben, hatten sich gerade darauf geeinigt, Jesus zu töten.[1] Und nicht nur das. Zeitgleich beschließt auch Judas, der Freund Jesu, dass er ihn verraten und verkaufen wird.[2] Hier geht es ans Eingemachte, das Ende Jesu rückt rasant näher.

 

Mitten in diesem Kesseltreiben wird eine denkwürdige Geschichte erzählt. Sie geschieht an einem besonderen Ort. Zu einer besonderen Zeit. Mit besonderen Leuten. Markusevangelium, Kapitel 14, Verse 3-9:

 

3 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:

Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.  6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.  9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

 

Was hier passiert, wirkt wie eine kurze Verschnaufpause auf dem Leidensweg Jesu. Um diese Geschichte herum lauern Abschiedsworte, Mordgelüste, Verrat und Verleugnung und Gefangennahme. Jesus ist geliefert und holt hier, in diesen Versen mitten in der Passionsgeschichte, noch einmal Atem für seinen Aufschrei am Kreuz.

 

Diese kleine Oase mittendrin im Tohuwabohu der letzten Tage Jesu ist ein Rattenloch. So jedenfalls wird das Haus eines Menschen, der an Aussatz erkrankt ist, damals eigentlich behandelt. Im Alten Testament[3] ist sogar verfügt, dass ein Aussätziger umziehen muss – raus aus dem Dorf! Für Juden spielten nicht nur medizinische Gründe eine Rolle, sondern auch religiöse Gründe: Wer Kontakt mit einem Aussätzigen hatte, war bis auf Weiteres »unrein« und durfte nicht an den kultischen Feiern teilnehmen. Das Passahfest steht vor der Tür, da will sich niemand die Hände schmutzig machen.

 

Das Haus von Simon dem Aussätzigen ist also ein besonderer Ort. Für jeden Gesunden, aber besonders für einen gesunden Juden, so kurz vor dem Passahfest. Hier ist eigentlich schon das ganze Evangelium: Der Jude Jesus, der Sohn Gottes, sitzt kurz vor dem Passah im Haus des Aussätzigen Simon. Wie verrückt das ist, zeigt schon die Tatsache, dass dieser Simon es namentlich in die Bibel geschafft hat, obwohl er sonst an keiner anderen Stelle auftaucht. Aber den Namen haben sich die Leute gemerkt! Simon, der Aussätzige, mit dem der Sohn Gottes vor dem Passahfest am Tisch gesessen hat! Der Name »Simon« lässt sich aus dem Hebräischen ableiten und heißt dann: »Gott (er)hört«. Er lässt sich aber auch aus dem Griechischen ableiten und bedeutet dann: »Stupsnase«. So weit klafft das Heilige und das Gewöhnliche an diesem Simon auseinander. Er, der kultisch unbrauchbar geworden ist, beherbergt den heiligen Sohn Gottes.

 

Das ist mehr als Ironie des Schicksals. Das ist augenzwinkernde Güte Gottes. Simon, Gott hört dich, Stupsnase.

 

Als wäre die Szenerie nicht schon skurril genug, kommt nun noch eine Verrückte auf die Bühne. Der Wert des Öls, das sie vergießt, beläuft sich in etwa auf ein durchschnittliches Jahresgehalt. Das allein ist natürlich schon verschwenderisch, wenn es sich von einer Minute auf die andere in Duft auflöst. Verrückt ist diese Frau, weil sie unvernünftig viel von ihrem Besitz verschwendet – nämlich alles. Sogar das Fläschchen, in dem das Öl aufbewahrt war, zerbricht sie.

 

An dieser Frau wird ein Grundbedürfnis deutlich, das uns alle verbindet: Das Grundverlangen, sich zu verschwenden. Manch einer verschwendet sich an seinen Garten, für andere ist es eher das Girokonto. Viele Menschen verschwenden sich an ihre Kinder und später an ihre Eltern, die sie pflegen. Etwas in einem Maße tun, für das es keinen Lohn gibt. Irgendetwas um der Sache willen tun (und sei es Geld zu haben um des Geldes willen, auch wenn es sich gar nicht mehr ausgeben lässt). Wer ein Musikinstrument lernt, dem wird das nur gelingen, wenn er sich verschwendet. Immer wieder dieselbe Tonleiter rauf und runter, bis die Nachbarn jaulen. Sich zu verschwenden ist das Gegenstück zum Hamstern. Und auch das wird an dieser Frau deutlich, an die sich alle Welt erinnern soll, wenn von der Guten Nachricht gesprochen wird (V.9): Wir werden nicht zufrieden, sondern sauarm aus dieser momentanen Krise herauskommen, wenn wir nur für uns soviel wie möglich festzuhalten versuchen. Ein bisschen Verrücktheit – wie sie diese Frau auf die Bühne bringt – ist nötig zu unserem Glück.

 

Aber es ist nicht nur, was diese Frau tut. Auch ihr Name ist besonders: Sie hat nämlich keinen. Jesus sagt zwar von ihr, sie werde bald in der ganzen Welt bekannt sein, aber einen Namen bekommt sie nicht. Sie ist der ganze Kontrast zu Simon. Er, der nicht nur unverdient, sondern nach damaligem Maßstab auch ungerechtfertigterweise die Nähe Gottes in seinem Haus erfährt. Er, »Stupsnase« und »Gott hört«, der gleich zwei Namen in einem hat. Und sie, die Unbenannte, die ein Vermögen investiert, um dem Christus einen guten Dienst zu erweisen. Einen Namen bekommt sie dafür nicht.

 

Vielleicht steckt gerade in diesem Kontrast die Schönheit dieser Geschichte: Meinen Namen kann ich nicht verdienen. Meinen Platz im Leben brauche ich mir nicht erst erarbeiten. Ich habe keinen Nutzen, den ich erst erfüllen muss, damit mein Dasein wertvoll wird. Oder anders gesagt: Die Gabe des Lebens ist nicht Lohn meiner Hingabe – das kann der befreiende Duft dieser Geschichte für all jene sein, die in diesen Tagen händeringend nach Beschäftigung suchen, weil sie sich sonst so nutzlos fühlen.

 

Das Leben ist verliehene Gabe, die muss ich nicht legitimieren. Wer gerade mehr Freilauf hat als sonst: Atme den Frühling! Erfreu dich an dem Gezwitscher der Sonne und an der wohligen Wärme des Amselgesangs! Ziel und Sinn des Lebens ist das Leben selbst – so hat sich Gott das ausgedacht, und so macht es ihm Freude.

 

In diesem Evangelium des unverdienten Namens steckt aber auch eine Orientierung für unser politisches und gesellschaftliches Handeln dieser Tage.

 

Wer das Leben als verliehene Gabe empfängt, statt als Verdienst der eigenen Hingabe, dem wird die ganze Absurdität all jener leisen Stimmen schnell bewusst, die uns mit lauter werdendem Ton vorrechnen wollen, was der Schutz der Alten und Vorerkrankten uns kostet. Der Wert eines Namens bemisst sich nicht an seinem Nutzen für die Gesellschaft und ist deshalb niemals Frage des Alters oder der Teilhabe. Theologisch gesprochen ist jede Rechnung in diese Richtung Frevel! Der Schutz der Schutzbedürftigen ist kein Luxus, den wir uns gönnen, solange die Schwarze Null steht.

 

In der Art und Weise, wie wir in den kommenden Monaten die Schwächeren unter uns schützen, wird sich zeigen, wieviel Mensch in uns steckt. Wieviel Mensch, der um den Ursprung seines eigenen Namens weiß: Er ist nicht verdient, sondern geschenkt.

 

Es mag also ans Eingemachte gehen – der Schlüssel zum Glück liegt darin, zu verschwenden, was wir haben.

Amen.

 

[1] Markusevangelium, Kapitel 14, Verse 1-3.

[2] Markusevangelium, Kapitel 14, Verse 10-11.

[3] 3. Buch Mose, Kapitel 13, 45-46.

 

 

Hier noch das "Wort zum Sonntag" als pdf-Datei zum Download:

 

Sonntag Palmarum.pdf
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